Hohe Preise heizen Diskussion an
Sorge um ÖlvorräteAuch in den letzten Tagen des Jahres hält sich der Ölpreis deutlich über der Marke von 100 Dollar für ein Barrel (159 Liter) der Nordsee-Sorte Brent. Das teuerste Öljahr aller Zeiten liegt hinter uns - und vermutlich auch vor uns. "Das gesamte geförderte Rohöl wird umgehend verbraucht", sagt der Hamburger Ölexperte Steffen Bukold. "Der Markt ist sehr eng genäht."
Damit rückt auch die Frage wieder in den Mittelpunkt, ob das Öl zur Neige geht. Seit den siebziger Jahren hat es zahlreiche Voraussagen gegeben, nach denen 2000 oder spätestens 2010 die globale Ölförderung ihren Scheitelpunkt erreicht und die Produktion unweigerlich zu fallen beginnt - wie bei einem einzelnen Ölfeld, das irgendwann erschöpft ist.
Auf der einen Seite steht die Ölindustrie sowie der größere Teil der Geologen und Wirtschaftswissenschaftler. "Die Peak-Öl-Debatte hat in den vergangenen drei Jahren deutlich an Bedeutung verloren", sagt zum Beispiel der Chef des Ölkonzerns Repsol, Antonio Brufau. Das Tempo des technologischen Wandels habe die Branche überrascht. Neue Fortschritte bei der Entdeckung und Erforschung von Öl und Gas in der Tiefsee und andere unkonventionelle Ölquellen sowie neue potenzielle Fördergebiete wie die Arktis seien der Schlüssel zu wachsenden globalen Reserven. "Die Möglichkeit, dass die Ressourcen unter kommerziellen Gesichtspunkten auslaufen, müssen wir kurz- und mittelfristig nicht mehr in Erwägung ziehen."
Der Welt-Erdölkongress in Doha in diesem Monat war geprägt von Euphorie über die "großartigen Perspektiven" der Energieträger Öl und Gas. Die Welt sollte genügend Ölvorräte haben, um den Bedarf für mehr als 100 Jahre zu decken, sagte zum Beispiel Christophe de Margerie, Chef des französischen Konzerns Total. Beim Gas wird inzwischen von 250 Jahren gesprochen. Die Kritiker um den englischen Geologen Colin Campbell sehen das ganz anders. Sie halten das globale Fördermaximum für erreicht.
Gewissheit kommt späterFest steht nur, dass die Welt erst im Nachhinein erkennen wird, in welchem Jahr die Ölförderung ihren Höhepunkt erreicht hatte. Im vergangenen Jahr wurden täglich mehr als 87 Mio. Barrel Rohöl verbraucht. Das sind ungefähr 60 große Tanker. Die Hälfte davon wird als Kraftstoff für Autos, Schiffe und Flugzeuge benötigt, rund zehn Prozent für die Chemieindustrie. Ungefähr 90 Prozent aller industriell gefertigten Produkte hängen vom Erdöl ab.
Produziert wurden 2010 dagegen nur gut 82 Mio. Barrel pro Tag. Es war so viel wie noch nie, aber deutlich weniger als die verbrauchte Menge. Die Lager leerten sich; das ist einer der wesentlichen Gründe für den Preisanstieg 2011.
Für die nächsten Jahre gehen fast alle Prognosen von einem steigenden Verbrauch aus. Vor allem die zunehmende Motorisierung der beiden bevölkerungsreichsten Länder China und Indien, aber auch das Wachstum der Weltbevölkerung und die wirtschaftliche Entwicklung der Schwellenländer lassen kaum einen anderen Schluss zu, selbst wenn in Industrieländern wie Deutschland der Ölverbrauch tendenziell eher sinkt. Laufen die langfristigen Verbrauchstrends so weiter, müssten nach den Analysen der Internationalen Energie-Agentur IEA 2020 ungefähr 120 Mio. Barrel Öl täglich zur Verfügung stehen.
Diese Mengen liegen zwar in der Erde, ob sie aber auch gefördert, verarbeitet, transportiert und vermarktet werden können, steht in den Sternen. Dazu müsste die weltweite Öl-Infrastruktur aus Förder- und Transporteinrichtungen nochmals deutlich ausgebaut werden. Gegenwärtig dürften schon 85 oder 90 Mio. Barrel täglich kaum zu schaffen sein. Es gibt in der Ölindustrie einen Investitionsstau aus den Zeiten niedriger Ölpreise vor mehr als zehn Jahren, der sich erst langsam auflöst. Bis 2035 müssen laut IEA acht Billionen Dollar, das sind 8000 Milliarden, in den Öl- und Gassektor investiert werden.
Auch wenn das Öl noch lange reicht, die Zeiten des billigen Öls sind höchstwahrscheinlich für immer vorbei. Denn es geht nun um schwierig und damit teuer zu förderndes Öl aus großen Meerestiefen, aus Schiefer und Sand, aus unwirtlichen Regionen. Das ist mühsam und kostet viel Geld. Aber es ist günstiger als eine drastische Verknappung des Öls, die den Preis schnell auf 200 oder 300 Dollar oder auch noch höher treiben könnte, und billiger als die Unterversorgung der Welt mit Öl.
Ein Think-Tank der Bundeswehr hat sich kürzlich in einer umfangreichen Studie einmal Gedanken gemacht, was das bedeuten würde: Mindestens Hungersnöte, Revolutionen und Rezession, mittelfristig vermutlich den Zusammenbruch des globalen Wirtschaftssystems.
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